Zinssenkung: Wird die EZB wahrscheinlich früher handeln als die Fed?
Politische Entscheidungen der Zentralbanken könnten im Jahr 2024 weltweit im Mittelpunkt des Interesses der Händler stehen, insbesondere im Hinblick auf den Zeitpunkt möglicher Zinssenkungen. Nach der Zinssenkung der Schweizerischen Nationalbank (SNB) im März richten sich nun alle Augen auf die Europäische Zentralbank (EZB) und die Federal Reserve (Fed), um zu sehen, wer diesem Beispiel folgen könnte. Werfen wir einen genaueren Blick darauf:
EZB-Mitglieder werden zunehmend taubenhaft
Jüngste Äußerungen wichtiger EZB-Mitglieder deuten auf einen möglicherweise taubenhaften Kurswechsel in ihrer Geldpolitik hin. Vereinfacht ausgedrückt, liegt der Schwerpunkt einer taubenhaften Haltung auf der Ankurbelung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und der Beschäftigung, was durch verschiedene Instrumente erreicht werden kann, z. B. durch die Senkung oder Beibehaltung niedriger Zinssätze.
Gestern, am Montag, den 27. Mai, signalisierten zwei wichtige EZB-Mitglieder, Olli Rehn und Philip Lane, eine hohe Wahrscheinlichkeit einer Zinssenkung auf der bevorstehenden EZB-Sitzung am Donnerstag, den 6. Juni, was bei Händlern und Analysten zu Spekulationen über die künftige Ausrichtung der Geldpolitik der Eurozone führte.
In seiner Rede auf der BOJ-IMES-Konferenz 2024 über Preisdynamik und geldpolitische Herausforderungen, die vom Institut für Währungs- und Wirtschaftsstudien der Bank von Japan (BoJ) organisiert wurde, erklärte der Gouverneur der finnischen Zentralbank, Olli Rehn, dass die Anhebung der Zinssätze seit Juli 2022 es der EZB ermöglicht habe, die Nachfrage zu dämpfen und damit die Inflation zu begrenzen.
Er wies darauf hin, dass die Gesamtinflation und die zugrunde liegende Inflation, die derzeit bei 2,4 % bzw. 2,7 % liegen, im nächsten Jahr voraussichtlich das 2 %-Ziel der EZB erreichen werden. Rehn ist der Ansicht, dass die jüngste Abwärtsentwicklung der Inflation nachhaltig zu sein scheint, was bedeutet, dass es an der Zeit sein könnte, die Geldpolitik auf der nächsten Sitzung der EZB am 6. Juni zu lockern.
Obwohl Rehn eine Zinssenkung befürwortet, betont er auch, dass diese nur erfolgen kann, wenn dieser „disinflationäre Prozess“ nicht durch „weitere Rückschläge“ wie zunehmende geopolitische Spannungen oder Energiepreissteigerungen beeinträchtigt wird.
Der andere Hinweis darauf, dass der nächste mögliche Schritt der EZB eine Zinssenkung sein könnte, kam vom Chefvolkswirt der EZB, Philip Lane, der in der Financial Times erklärte, dass „wenn es keine größeren Überraschungen gibt, wir zum jetzigen Zeitpunkt genug sehen, um die oberste Stufe der Beschränkung aufzuheben“
Dennoch räumt Lane ein, dass die EZB im Jahr 2024 im restriktiven Bereich bleiben muss, um zu verhindern, dass die Inflation wieder ansteigt und länger als erwartet über dem 2 %-Ziel bleibt.
Fed signalisiert eine längere Periode höherer Zinssätze
In den letzten Wochen haben Fed-Vertreter bekräftigt, dass es länger dauern könnte als bisher erwartet, bis die gestraffte US-Geldpolitik die Inflation nachhaltig auf das 2 %-Ziel senken kann. Dies deutet darauf hin, dass die US-Zentralbank die Zinssätze möglicherweise für einen längeren Zeitraum auf ihrem derzeitigen Niveau halten muss, was einem „Hoch für länger“-Zinsumfeld gleichkommt.
Da dieser Mangel an Fortschritten in Richtung einer niedrigeren Inflation die Vorstellung stützen dürfte, dass die Fed die Zinsen in nächster Zeit nicht senken wird (einige Marktteilnehmer erwarten die erste Zinssenkung der Fed im kommenden September), dürfte die EZB die erste sein, die die Zinsen senkt, wenn sie auf ihrer nächsten Sitzung für niedrigere Zinsen stimmen sollte.
Einige Analysten warnen jedoch davor, dass ein signifikanter Unterschied (Divergenz) in der Zinspolitik zwischen der Fed und der EZB den Euro aufgrund von Stimmungsumschwüngen auf dem Devisenmarkt schwächen (abwerten) könnte. Dies wiederum könnte die Inflation in der Eurozone in die Höhe treiben, da sich die Importe verteuern.
Angesichts der inhärenten Unsicherheiten der Zukunft und des möglichen Einflusses unvorhergesehener Faktoren sollten diese Szenarien nur als Prognosen einiger Analysten und nicht als Garantien betrachtet werden. (Quelle: Financial Times)
Schlussfolgerung
Olli Rehn und Philip Lane scheinen die Meinung anderer Mitglieder des Rates der Europäischen Zentralbank zu teilen, dass eine Zinssenkung im Juni auf dem Tisch liegt. Dies könnte bedeuten, dass die EZB ihre Zinssätze wahrscheinlich vor der US-Notenbank senkt, die normalerweise bei geldpolitischen Entscheidungen den Ton angibt.
Die Händler sollten jedoch bedenken, dass beide Zentralbanken einen datenabhängigen Ansatz verfolgen, was bedeutet, dass die zwischen den geldpolitischen Sitzungen veröffentlichten Wirtschaftsdaten Auswirkungen auf ihre Analyse, Prognose und Entscheidung haben können.
Darüber hinaus wird am Freitag, den 31. Mai, ein für die Fed wichtiger Inflationsdatenbericht veröffentlicht: die Kerndaten der privaten Konsumausgaben (PCE), die nach den gemischten Inflationsdaten der letzten Wochen mehr Aufschluss über die Inflationsentwicklung in den USA geben könnten.